Drei Wochen bei Vision – Ein Blick über den Tellerrand und ein Eintauchen in internationale Gewerkschaftsarbeit SIMPLE – CLOSE – FORWARD

Drei Wochen in Stockholm – drei Wochen voller neuer Eindrücke, Gespräche und Perspektiven auf Gewerkschaftsarbeit. Mein Praktikum bei der schwedischen Gewerkschaft Vision war eine echte Bereicherung. Ich durfte hinter die Kulissen einer Organisation blicken, die ich in vielen Bereichen als moderne und innovative Vorreiterin erlebe – und habe viel darüber nachgedacht, was wir in Österreich – insbesondere bei younion _ Die Daseinsgewerkschaft – ähnlich machen, und wo wir voneinander lernen können.


Einstieg – Mein erster Tag bei Vision

Ich wurde sofort herzlich empfangen – ich fühlte mich von der ersten Sekunde an willkommen. Obwohl es zunächst eine kleine Herausforderung war, plötzlich ausschließlich auf Englisch zu kommunizieren, war die Aufregung schnell verflogen. Ich bekam einen Überblick, wie Vision arbeitet – und war beeindruckt: Alles, was hier gemacht wird, folgt drei klaren Prinzipien:
Es muss einfach sein. Es muss für das Mitglied sein. Und es muss zukunftsgerichtet sein.

Diese Haltung hat mich besonders beeindruckt – denn ganz ehrlich: Genau diese klare Ausrichtung spüre ich in Österreich nicht immer so deutlich.


Mitgliederstruktur und Ansprache – jung, digital und datengestützt

Mit rund 220.000 Mitgliedern ist Vision eine der größten Gewerkschaften Schwedens – aber nicht so groß, dass sie den Blick fürs Wesentliche verliert. Die Mitglieder arbeiten überwiegend im öffentlichen Sektor: Gemeinden, Regionen, Behörden, Kirchen oder andere öffentliche Einrichtungen.

Spannend ist die berufliche Vielfalt: Über 4.000 Berufsgruppen sind vertreten – wobei ich das Gefühl habe, dass viele davon in Österreich unter anderen Bezeichnungen zusammengefasst würden.

Was Vision besonders gut macht: die gezielte Ansprache junger Menschen. Die Initiative „Generation Vision“ richtet sich an Mitglieder unter 35 Jahren – mit Infoveranstaltungen, Mitmachmöglichkeiten und echtem Austausch über die Rolle von Gewerkschaften und das schwedische Modell. Ich durfte selbst bei einer zweitägigen Veranstaltung in Malmö dabei sein – und konnte erleben, wie ernsthaft Vision junge Menschen einbindet.

Wichtig zu wissen: Wenn in Schweden von „jungen Menschen“ gesprochen wird, meint man meist die Altersgruppe 25–35 – ganz anders als in Österreich, wo wir tendenziell 15–25-Jährige im Blick haben.

younion legt ebenfalls großen Wert auf Jugend- und Lehrlingsarbeit – jedoch mit einem anderen Zugang: mehr direkter Kontakt vor Ort, über Betriebsrät:innen, Jugendvertrauensrät:innen oder Schulbesuche. Vision setzt stärker auf digital gesteuerte Prozesse, personalisierte Kommunikation und datengestützte Strategien.


Kollektivverträge und Lohnpolitik – individuell statt einheitlich

Ein großer Unterschied zeigt sich bei den Kollektivverträgen: In Schweden – und konkret bei Vision – werden Lohnerhöhungen oft individuell oder betriebsbezogen verhandelt. Zwar gibt es flächendeckende Vereinbarungen, aber keinen einheitlichen Mindestlohn wie bei uns.

Beispiel: Das aktuelle Abkommen für kommunale Beschäftigte sieht eine Erhöhung von 6,4 % über zwei Jahre vor – die Verteilung erfolgt aber leistungsbezogen. Das schafft Flexibilität, kann aber auch Druck erzeugen, vor allem für Berufseinsteiger:innen.

In Österreich setzen wir auf klare Strukturen: fixe Mindestlöhne, geregelte Arbeitszeiten, Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das gibt Sicherheit – aber auch weniger Raum für individuelle Lösungen.

Das schwedische Modell ist spannend, birgt aber Risiken: Nicht jede:r kann ständig „leisten“ – und genau da braucht es starke Gewerkschaften.


Mitgliedschaft und Leistungen – Vielfalt statt Standardpaket

Die Mitgliedschaft bei Vision kostet rund 209 SEK (etwa 18 €) monatlich. Für Studierende oder Mitglieder unter 30 Jahren gibt es starke Vergünstigungen – zum Teil ist sie sogar kostenlos.

Dafür erhalten Mitglieder Zugang zu einem beeindruckenden Leistungspaket:

  • Einkommensversicherung, die bis zu 80 % des letzten Gehalts absichert
  • Psychologische Online-Beratungen
  • AI-Tools für Bewerbungen, Lebenslauf und Interviewtraining
  • Rabatte auf Kredite, Weiterbildungen und Freizeitangebote
  • Karriereberatung und Stipendienprogramme

Auch younion bietet ein breites Serviceangebot – insbesondere in den Bereichen Arbeitsrecht, Bildung, persönliche Beratung und kollektive Vertretung. Der Zugang ist oft persönlicher, während Vision viele Prozesse digitalisiert und automatisiert.


Persönliche Eindrücke – Leben, Arbeit und Realität

Stockholm ist eine traumhafte Stadt – aber auch unglaublich teuer. Ich frage mich oft, wie sich das Menschen leisten sollen, die hier leben und arbeiten – besonders jene, die neu ins Land kommen.

Auch für junge Menschen ist der Einstieg ins Berufsleben nicht einfach. Viele starten erst mit rund 25 Jahren, etwa wegen langer Ausbildungszeiten. Gleichzeitig herrscht durch das leistungsbezogene Lohnsystem hoher Druck – Sicherheit und Planbarkeit kommen oft zu kurz.

Dazu kommen teils strenge Regeln, was Zuzug, Arbeitsmarktzugang oder Unterstützung angeht – das alles gibt mir viel zum Nachdenken mit.


Interne Kommunikation – alle sprechen dieselbe Sprache

Eines hat mich besonders beeindruckt: die interne Klarheit und Kommunikation bei Vision. Ich hatte das Gefühl, dass alle Kolleg:innen ein gemeinsames Bild davon haben, wohin sich Vision entwickeln soll. Es gibt ein klares Ziel, gemeinsame Werte und ein starkes Verständnis davon, wie Gewerkschaftsarbeit heute funktionieren kann. Jeder bringt sich mit eigenen Schwerpunkten ein – aber alle ziehen am selben Strang.


Fazit – Viel gelernt, vieles zum Mitnehmen

Meine Zeit bei Vision war intensiv, inspirierend – und vor allem wertvoll. Ich habe eine Gewerkschaft erlebt, die den digitalen Wandel aktiv mitgestaltet, junge Menschen einbindet und in Bildung, Service und Kommunikation investiert.

Gleichzeitig habe ich gesehen, wie wichtig es ist, dass es verlässliche Strukturen, soziale Absicherung und Solidarität gibt – und wie sehr diese Prinzipien auch in Österreich unser Rückgrat sind.

Ich nehme viele neue Ideen mit zurück nach Wien – sei es im digitalen Bereich, in der Mitgliederansprache oder in der Bildungsarbeit. Aber ich nehme auch mit: Gewerkschaftsarbeit ist nie fertig. Sie muss sich ständig weiterentwickeln – ohne ihre Grundwerte zu verlieren.


Tack – Danke!

Ich möchte mich bei allen Kolleg:innen bedanken, die ich in dieser Zeit kennenlernen durfte. Es war inspirierend zu sehen, wie ihr gemeinsam für eine gerechtere Arbeitswelt arbeitet.

Ein besonderer Dank geht an Max, der viel Zeit in meine Betreuung investiert hat – und dafür gesorgt hat, dass ich nicht nur arbeite, sondern auch lachen und lernen konnte.